Es kommt mir so vor, als sei es gerade erst gestern gewesen: jenes verheerende Unwetter, das am 9. Oktober 2018 völlig unerwartet über den Nordosten Mallorcas hereinbrach und mit seinen Überschwemmungen und Schlammlawinen die Gemeinde Sant Llorenç des Cardassar in der Region Llevant besonders schwer traf.
Über Instagram haben mich damals die ersten Schreckensmeldungen und Bilder erreicht. Ich konnte, ich wollte nicht glauben, was ich dort sah und las… Mir wurde abwechselnd heiß und kalt bei der Vorstellung, dass hier ahnungslose Menschen plötzlich von den Fluten überrascht und in den Tod gerissen wurden!
13 Todesopfer hat die Flutkatastrophe insgesamt gefordert – ganz Mallorca stand damals unter Schock! Die Hilfsbereitschaft der mallorquinischen Bevölkerung war wirklich beeindruckend: Es wurden vielerorts private Notunterkünfte, Essen und Kleidung angeboten; Tennisstar Rafael Nadal stellte Räume in seiner Tennis-Akademie in Manacor als Ausweichquartier für Flutopfer zur Verfügung. Aber nicht nur das – nein, er ließ sogar den Start beim Masters-Turnier in Shanghai sausen, um in Sant Llorenç persönlich bei den Aufräumarbeiten mitanzupacken. Das nenn ich echte Größe: Chapeau!
Wie so oft bei solchen Katastrophen lässt das Interesse irgendwann nach, und die Berichterstattung über die Ereignisse verstummt…. Doch mich hat dieses furchtbare Unglück und das Schicksal der Betroffenen nicht so einfach wieder losgelassen.
Aus diesem Grund sind wir Anfang Januar kurzentschlossen nach Sant Llorenç gefahren. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie es drei Monate nach der Katastrophe um den Ort und seine Bewohner steht – und wünschte mir dabei so sehr, alles möge wieder gut sein!
Als wir bei strahlendem Sonnenschein in den kleinen beschaulichen Ort hineinfahren, sieht auf den ersten Blick alles völlig normal aus: keine zerstörten Häuser, keine unterspülten Straßen und auch sonst nichts, was auf eine verheerende Flutkatastrophe hindeutet. Wir sind zuvor noch nie in Sant Llorenç gewesen. Kennen uns hier also nicht aus und wissen deshalb im Moment gar nicht genau, welcher Teil des Ortes besonders von den Überschwemmungen betroffen war …
Deshalb biegen wir einfach mal von der Hauptstraße links ab in eine kleine Gasse. „Centro“ steht gleich vornean auf einem schon ziemlich verwitterten Hinweisschild. Die Gasse führt uns direkt hinauf zu der auf einer kleinen Anhöhe gelegenen Pfarrkirche von Sant Llorenç. Die Parkplatzsuche ist hier kein Problem… Es ist Mittagszeit – der Kirchplatz wie leergefegt. Normal, Siesta eben!
So gehen wir bei herrlichem Sonnenschein auf Erkundungstour – schön ist es hier. Richtig schön! Ein mallorquinisches Städtchen wie aus dem Bilderbuch: Alles sieht tipptopp aus – auch hier lassen sich für uns keine Spuren der Überflutung erkennen. Wir trinken in einem kleinen Café unseren obligatorischen nachmittäglichen Cortado und beschließen, mit dem Auto noch mal den gleichen Weg zurück zum Ortseingang zu fahren, wo ich vorhin im Vorbeifahren ein paar Absperrungszäune gesehen habe.
Gesagt, getan: Wir zuckeln mit unserem Fiat also noch mal durch den Ort – und jetzt sehen wir es: das rot-weiße Absperrband, das die gesamte Straße entlang um Laternen gespannt ist und das ehemalige Überschwemmungsgebiet markiert. Die meisten Häuser hier sind ebenfalls abgesperrt und amtliche Zettel hängen an den Eingangstüren, auf denen „INSPECCIONAT“ steht. Was auf Katalan so viel wie „Noch in der Überprüfung“, und damit unbewohnbar bedeutet.
Knapp einen Kilometer fahren wir an unzähligen abgesperrten Gebäuden vorbei, bis wir schließlich zu einer Brücke gelangen, die über jenen Ortsbach führt, der im Oktober 2018 über die Ufer getreten ist. Die Sturzfluten haben dem betonierten Flussbett deutlich zugesetzt, auch die Brücke ist stark beschädigt und immer noch mit Absperrgittern versehen. Oh Gott: Hier ist es also passiert! Wie schrecklich.
Am Ende des Weges bleiben wir schließlich vor einem kleinen Häuschen stehen, aus dem ein alter Mann – etwas über siebzig mag er vielleicht sein – mutterseelenallein Schuttreste in einem Plastikkübel herausträgt. Ein kurzer Blick ins Haus genügt, um zu wissen, dass er hier so schnell nicht wieder wohnen wird!
Als er mich sieht, murmelt er leise „Bon dia!“ in meine Richtung und schenkt mir dabei ein freundliches Lächeln. Ich kämpfe mit den Tränen, nicke ihm zu und erwidere mit kraftloser Stimme: „Bon dia!“
Sant Llorenc drei Monate nach der Flutkatastrophe: Hier sind die Wunden noch lange nicht verheilt!
2 Kommentare
Harald Mau
10. Januar 2019 at 21:45Super, das Du auch zu diesem Thema am Ball bleibst. Mach bitte weiter so.
Karin van Essen
10. Januar 2019 at 21:55Danke für Dein tolles Feedback! Ich bleib dran – keine Frage! Liebe Grüße aus Hamburg! Karin